jurisPR-BGHZivilR 25/2008 Anm. 1

Anspruch auf Ersatzvornahmekosten auch ohne Auftragsentziehung im Falle endgültiger Erfüllungsverweigerung beim VOB-Vertrag

Anmerkung zu BGH 7. Zivilsenat, Versäumnisurteil vom 09.10.2008 - VII ZR 80/07 -
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsätze

1. Dem Auftraggeber steht ein Anspruch auf Ersatz der Fremdnachbesserungskosten auch ohne Entziehung des Auftrags zu, wenn der Auftragnehmer endgültig die vertragsgemäße Fertigstellung verweigert (Bestätigung von BGH v. 20.04.2000 - VII ZR 164/99 - BauR 2000, 1479 = ZfBR 2000, 479 = NZBau 2000, 421).
2. Das Mängelbeseitigungsverlangen genügt den Anforderungen, wenn der Auftraggeber durch Bezugnahme auf ein dem Auftragnehmer bekanntes Gutachten im selbstständigen Beweisverfahren die „Mangelerscheinungen“ bezeichnet.

A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Auftraggeber Ersatz der Fremdnachbesserungskosten (Ersatzvornahmekosten) auch ohne Auftragsentziehung verlangen kann. Der BGH bejaht das für einen Fall, in dem der Auftragnehmer endgültig die vertragsmäßige Fertigstellung verweigert.

Im zweiten Leitsatz bestätigt der VII. Zivilsenat: Eine Mängelrüge unter Bezugnahme auf ein dem Auftragnehmer bekanntes Gutachten aus dem selbstständigen Beweisverfahren beschreibt die Mangelerscheinungen im Sinne der Symptomrechtsprechung des BGH zutreffend und ausreichend.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger beauftragte für den Umbau einer Tankstelle die Beklagte mit Werkleistungen. Der Bauvertrag wurde vom Architekten des Klägers unter Einbeziehung der VOB/B angefertigt.

Die Arbeiten der Beklagten wurden nicht abgeschlossen. Eine Abnahme erfolgte nicht. Die Betonplatte des Abfüllplatzes wurde vom TÜV-Prüfer beanstandet. Sie wies erhebliche Mängel auf (mangelhafte Betonqualität, Abplatzungen, Rissbildungen, fehlende Verfugung). Im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens wurde ein Gutachten erstellt, das die Mängel zusammenfasste.

Unter Bezugnahme auf dieses Gutachten forderte der Kläger die Beklagte – ohne erneute Auflistung der Mängel im Einzelnen – zur Fertigstellung des geschuldeten Werks mit Fristsetzung auf. In einem weiteren Schreiben setzte er Nachfrist und drohte Ablehnung der Entgegennahme der Mängelbeseitigung an. Auch diese Aufforderungen blieben erfolglos. Der Kläger ließ daraufhin die Ersatzvornahme durchführen. Erst danach entzog er der Beklagten den Auftrag.

Das Erstgericht gab der Klage auf Ersatz der Nachbesserungskosten dem Grunde nach statt. Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Nach seiner Auffassung hätte der Kläger vor Abnahme einen Anspruch auf Ersatz der Fremdnachbesserungskosten erst nach einer wirksamen außerordentlichen Kündigung nach § 8 Nr. 3 VOB/B. Außerdem seien die Mängel durch Bezugnahme auf das Gutachten im Beweisverfahren nicht ausreichend konkret beschrieben. Die Mängelrüge sei daher nicht spezifiziert genug. Der BGH teilte die Auffassung des Berufungsgerichts nicht. Er verwies den Rechtsstreit zurück.

Die zentrale Frage des Rechtsstreits liegt in der Anwendung des § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B. Danach muss der Auftraggeber grundsätzlich in einem Stadium vor Abnahme im Falle des Verzugs der Mängelbeseitigung durch den Auftragnehmer diesem gegenüber den Vertrag kündigen (BGH, Urt. v. 02.10.1997 - VII ZR 44/97 - BauR 1997, 1027; BGH, Urt. v. 15.05.1986 - VII ZR 176/85 - BauR 1986, 573), bevor er zur Ersatzvornahme schreiten kann. Daran hat sich das Berufungsgericht orientiert.

Der BGH meint jedoch: Einer Auftragsentziehung bedürfe es in solchen Fällen nicht, in denen der Auftragnehmer die vertragsgemäße Fertigstellung endgültig verweigert, weil er dadurch das Recht verliert, die Herstellung selber vorzunehmen. In einem solchen Fall könne der Besteller den Weg der Ersatzvornahme auch ohne Kündigung beschreiten.

Ob eine solche endgültige Erfüllungsverweigerung im vorliegenden Fall gegeben ist, konnte der BGH nicht selber untersuchen. Er wies allerdings darauf hin, dass eine Erfüllungsverweigerung nahe liegt. Hierzu fehlen offensichtlich – deshalb die Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 ZPO) – ausreichende tatrichterliche Feststellungen.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Klägers scheitere schon daran, dass er keine ausreichend spezifizierte Mängelrüge ausgesprochen hat, hält der BGH für unzutreffend. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger seine Aufforderung, die vertragsmäßige Leistung zu erstellen, und seine Ablehnungsandrohung mit Nachfristsetzung zwar nicht noch einmal mit einzelnen Mängelrügen versehen, jedoch insgesamt in zulässiger Weise Bezug genommen auf das Gutachten aus dem selbstständigen Beweisverfahren. Das hält der BGH unter Bezugnahme auf seine gefestigte Symptomrechtsprechung für eine ausreichende Mängelrüge. Es genüge die Angabe von Mangelerscheinungen. Ursachen müssten nicht aufgezeigt werden. Die Mangelerscheinungen könnten auch unter Bezugnahme auf eine eindeutige und geeignete Unterlage spezifiziert erfolgen (BGH, Urt. v. 03.07.1997 - VII ZR 210/96 - BauR 1997, 1029; BGH, Urt. v. 03.12.1998 - VII ZR 405/97 - BauR 1999, 391 = NJW 1999, 1330; BGH, Urt. v. 22.10.1981 - VII ZR 142/80 - BauR 1982, 66).

Auch die Bezugnahme auf ein im Beweisverfahren ergangenes Gutachten erfülle danach die Anforderungen an eine substantiierte Mängelrüge.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung steht zwar im Einklang mit dem früheren Urteil des VII. Zivilsenats vom 20.04.2000 (VII ZR 164/99 - BauR 2000, 1479). Bereits damals hatte der BGH eine Auftragsentziehung nicht als zwingende Voraussetzung für den Ersatz der Fremdnachbesserungskosten angesehen, wenn eine endgültige Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers vorliegt. Denn in einem solchen Fall ist eine erneute Fristsetzung zur Mängelbeseitigung mit Kündigungsandrohung entbehrlich. Nach dem gleichen Rechtsgedanken bedarf es nach neuerer Rechtsprechung des VII. Zivilsenats in einem solchen Fall auch keiner vorherigen Auftragsentziehung.

Diese Rechtsprechung ist allerdings seit dem Jahre 2000 neu. Vorher hatte der BGH die gegenteilige Auffassung vertreten. Die Änderung der Rechtsprechung mit dem Jahr 2000 hat er jedoch weder in der früheren Entscheidung vom 20.04.2000 noch in der jetzt besprochenen Entscheidung deutlich gemacht.

In seiner Entscheidung vom 20.04.2000 hatte der VII. Zivilsenat sich auf seine frühere Rechtsprechung berufen, dabei allerdings nicht darauf hingewiesen, dass die zitierte Entscheidung einen Wandel der Rechtsprechung bedeutete. Denn in den älteren Entscheidungen (BGH, Urt. v. 15.05.1986 - VII ZR 176/85 - BauR 1986, 573, und BGH, Urt. v. 02.10.1997 - VII ZR 44/97 - BauR 1997, 1027) hatte der VII. Zivilsenat auch für den Fall einer endgültigen und ernsthaften Nachbesserungsverweigerung ganz eindeutig den vorherigen Auftragsentzug vor Durchführung der Ersatzvornahme als zwingende Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit der Fremdnachbesserungskosten angesehen (vgl. etwa BGH, Urt. v. 15.05.1986 - VII ZR 176/85 - BauR 1986, 573, 575, linke Spalte). Tatsächlich hat der BGH bereits mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2000, die durch die hier besprochene Entscheidung bestätigt wird, seine Rechtsprechung in diesem Punkt – ohne das als Wandel der Rechtsprechung zu kennzeichnen – grundlegend geändert. Denn auch in Fällen der Unzumutbarkeit der Nachbesserung für den Auftraggeber oder der endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Auftragnehmer war nach der früheren Rechtsprechung der Auftragsentzug, also die Kündigung des Bauvertrags, unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Auftragnehmer mit den Kosten einer Mängelbeseitigung durch einen anderen Unternehmer belastet werden kann. Das gilt jetzt nicht mehr. Im Falle endgültiger und ernsthafter Nachbesserungsverweigerung bedarf es auch beim VOB-Vertrag keines Auftragsentzugs für die Durchsetzung von Ersatzvornahmekosten.

D. Auswirkungen für die Praxis
Unabhängig von der Vereinbarung der VOB/B besteht in Werkverträgen, die dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz unterliegen, das Selbstvornahmerecht auch vor Abnahme, wenn der Besteller eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat, es sei denn, dass der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigern kann (§ 637 BGB; vgl. Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 637 Rn. 1).

Welche Schlüsse muss der Rechtsanwalt des Bauherrn aus der geänderten Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ziehen?

Der anwaltliche Berater muss sich nach ständiger Rechtsprechung am „sichersten Weg“ orientieren (BGH, Urt. v. 31.10.1985 - IX ZR 175/84 - NJW-RR 1986, 1281; BGH, Beschl. v. 17.07.2002 - IX ZR 418/98 - NJW 2002, 1417; kritisch hierzu Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl., Kap. IV, Rn. 142). Für den Anwalt ist es bei VOB-Verträgen nicht einfach, dem Mandanten den richtigen Rat zu geben.

Wenn er sich auf die Grundsätze der hier besprochenen Entscheidung beruft, kann er dem Mandanten u.U. raten, auch ohne außerordentliche Kündigung eine Fremdnachbesserung in die Wege zu leiten. Anwaltliche Vorsicht wird in der Regel gleichwohl nahe legen, dass der Prozessbevollmächtigte des klagenden Auftraggebers seinem Mandanten rät, zur Fremdnachbesserung erst dann zu schreiten, wenn nach fruchtlosem Ablauf der Frist eine Auftragsentziehung erfolgt ist. Denn die Frage, ob eine endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung vorliegt, lässt sich nicht mit absoluter Klarheit ex ante feststellen. Deshalb ist es aus der Sicht des Anwalts sicherer, zur Auftragsentziehung nach fruchtlosem Ablauf einer Frist für die Mängelbeseitigung oder Fertigstellung (§ 4 Nr. 7, § 5 Nr. 4 VOB/B) zu raten (§ 8 Nr. 3 VOB/B).

Allerdings kann der Anwalt mit seiner Beratung hier auch wieder zwischen Scylla und Charybdis geraten: Einerseits läuft er Gefahr – wenn er von der Kündigung abrät und dem Mandanten die sofortige Fremdnachbesserung empfiehlt – dass im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens Zweifel an der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung auftauchen und der Auftraggeber dann seine Ersatzvornahmekosten nicht durchsetzen kann. Andererseits haben Bauherr und Berater das Risiko, dass der Unternehmer unter Umständen eine Nacherfüllung nach § 637 Abs. 1 BGB (bei Unzumutbarkeit) verweigern kann.

Diese riskante Situation würde eigentlich dafür sprechen, dem Mandanten zur außerordentlichen Kündigung vor Durchführung der Ersatzvornahme zu raten. Aber ist ein solcher Rat nicht auch wiederum für den Anwalt riskant?

Der IX. Zivilsenat des BGH vertritt nämlich die Auffassung, dass der Rechtsanwalt bei baubegleitender Beratung zur Kündigung eines bestehenden Bauwerkvertrages nur im Ausnahmefall raten dürfe, wenn eindeutig anzunehmen sei, dass dem Mandanten dadurch kein Schaden entsteht (BGH, Urt. v. 17.09.1998 - IX ZR 291/97 - BauR 1999, 56 = BB 1998, 2336). Lassen sich – so der BGH – dem Bauherrn nachteilige Folgen nicht hinreichend sicher ausschließen und sind auch keine die Nachteile überwiegenden Vorteile erkennbar, muss die Empfehlung zur Kündigung unterbleiben (BGH, Urt. v. 17.09.1998 - IX ZR 291/97,vgl. auch dazu Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 29/2007 Anm. 3; zur Problematik der außerordentlichen Kündigung bei baubegleitender Rechtsberatung insgesamt Reinelt, BauR 1997, 766, und Reinelt, ZAP Fach 23, 491). Ob allerdings die vom IX. Zivilsenat zur Vermeidung einer Anwaltshaftung postulierten Voraussetzungen vorgelegen haben oder nicht, lässt sich in der Regel – wenn überhaupt – erst ex post aus der Sicht des Richters feststellen.

Was ist für den Berater also der Ausweg aus diesem Dilemma? Es gibt keinen Ausweg. Jeder, der baubegleitende Beratungspraxis aus eigener Erfahrung kennt, weiß: Es gibt dort nur (unzählige) vertretbare oder nicht vertretbare Ratschläge und Weichenstellungen. „Der sicherste Weg“ bei baubegleitender Beratung existiert in der Praxis nicht. Selbst ex post lässt er sich nicht mit absoluter Klarheit ausmachen, schon gar nicht in der Beratungssituation ex ante. Es kann hier nur die Frage sein, ob es für einen Rat vertretbare Gründe gab oder nicht. An die „Fata Morgana“ des sichersten Wegs Haftungsansprüche, jedenfalls bei baubegleitender Rechtsberatung, anzuknüpfen, geht an der Realität der baubegleitenden Rechtsberatung vorbei.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Im vorliegenden Fall ging es unter anderem um die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob die VOB/B wirksam in den – nach Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB altem Recht unterliegenden – Vertrag einbezogen wurde. Nach ständiger Rechtsprechung setzt diese Einbeziehung voraus, dass der Verwender seinem zukünftigen Vertragspartner Gelegenheit einräumt, den vollen Text der VOB/B zur Kenntnis zu nehmen.

Allerdings: Das Berufungsgericht hat tatrichterlich und damit revisionsrechtlich nicht angreifbar festgestellt, dass der Vertragstext unter Einbeziehung der VOB/B vom Architekten des Klägers erstellt worden ist. Deshalb geht der BGH mit dem Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger selbst Verwender der VOB/B ist, so dass er sich nicht auf eine etwa unwirksame Einbeziehung der VOB/B berufen kann (BGH, Urt. v. 10.06.1999 - VII ZR 170/98 - BauR 1999, 1186).

Erneut bekräftigt die besprochene Entscheidung, dass der notwendige, aber auch ausreichende Inhalt eines Mängelbeseitigungsverlangens – auch unter Bezugnahme auf spezifische Unterlagen – nach der Symptomrechtsprechung ausreicht, wenn Mangelerscheinungen beschrieben werden (BGH, Urt. v. 03.07.1997 - VII ZR 210/96 - BauR 1997, 1029).